Rasenthema: November 2006
Autor: © Bernhard Billing, Otto Hauenstein Samen AG, Rafz
Vegetationsdecke auf dem Dach nicht nur aus Gräsern
Dachflächen bieten ein enormes Potenzial wieder mehr Farbe und Natur in überbaute Gebiete zu bringen. Fachgerecht ausgeführte Dachbegrünungen verlängern die Lebensdauer der Abdichtung. Die verbesserte Wasser-Retention von Grün-Dächern ist in Fachkreisen allgemein anerkannt. Gemeinden und Städte fördern deshalb Dachbegrünungen zunehmend, indem für begrünte Flächen die Abwasser- oder Anschlussgebühren reduziert werden.
Zunehmend werden Mykorrhiza-Pilze zur Förderung des Artenreichtums und einer optimalen Anfangsentwicklung auf dem Dach eingesetzt. Für die nachhaltige Etablierung einer extensiven Dachvegetation sind einige Grundsätze zu beachten, die nachfolgend erläutert werden.
Geduld in der Startphase
Unter den extremen Bedingungen auf Dachflächen können langfristig nur langsam wachsende, trockenheitstolerante und mehrjährige Arten überleben. Entsprechend langwierig ist auch deren Jugendentwicklung. Angepasste mehrjährige Arten bilden während der ersten Vegetationsperiode ein ausgeprägtes fein verästeltes Wurzelwerk und meist bodennahe Blattrosetten. Erst nach einer Überwinterung beginnen die Pflanzen zu blühen. Nach zwei Vegetationsperioden sollte die Fläche zu mindestens 75 % mit lebenden Pflanzen bedeckt sein. Ein zu rasches, üppiges Wachstum ist aber nicht erstrebenswert. Stark gedüngte, getriebene Pflanzen bringen zwar schnelle Anfangserfolge, sind aber weniger trockenheitstolerant und sterben bei heißem Sommerwetter rasch ab.
Abb.: Auflaufende extensive Dachbegrünung. Wichtig dabei ist die Geduld! Die einheimischen Hungerkünstler wachsen langsam, dafür überstehen sie auch extreme Witterungsbedingungen. (Foto: B. Billing)
Mut zur Lücke
Auch mehrere Jahre alte Gründächer weisen öfters nicht ganzjährig eine geschlossene Pflanzendecke auf. Das ist nicht schlimm und hängt mit dem Lebenszyklus der Pflanzen und der Witterung zusammen. Lücken bieten trockenheitstoleranten Wildpflanzen aus der Umgebung die Möglichkeit, sich auf dem Dach zu etablieren. Die Artenvielfalt wird gefördert und es entstehen neue Lebensräume für Pflanzen, die vom Aussterben bedroht sind. Es sind aber nur Arten zu tolerieren, welche die Dachabdichtung nicht beschädigen.
Voraussetzungen für erfolgreiche Ansaaten
- Dachfläche mit leichtem Gefälle in Richtung Abläufe, kein Wasserstau oder Bildung von Wasserlachen.
- Wahl eines Aufbaus und Substrates, das die Richtlinien für Dachbegrünungen erfüllt (FLL-Richtlinien).
- Wahl einer geeigneten Saatgutmischung mit trockenheitstoleranten, einheimischen Wildkräutern, evtl. ergänzt mit Sedum-Sprossen.
Abb.: Bunte extensive Dachbegrünung. Wichtig sind das Entfernen von wurzelaggressiven Unkräutern und die jährliche Kontrolle der Abläufe. (Foto: B. Billing)
Ansaat
Der ideale Saatzeitpunkt für Samenmischungen ist von Ende März bis Mitte Juni sowie Anfang August bis Ende September. Ansaaten außerhalb dieser Periode unterliegen einem höheren Witterungsrisiko (Kälte, Nässe, Frost, Trockenheit, Hitze).
Flächen von einigen hundert Quadratmetern können gut von Hand gesät werden. Es ist ratsam, auch für Handsaaten Haftkleber einzusetzen. Durch den Fixierstoff wird das Saatgut nicht verweht. Windverfrachtungen nach der Saat sind relativ häufig. Sie hinterlassen ungleiche Begrünungsdichten, die meist am Rande dichte und in der Mitte der Fläche wenig auflaufende Pflanzen aufweisen.
Heute stehen im Handel fertig gemischte Produkte zur Verfügung.
Saat von einheimischen Sedum-Sprossen
Sedum-Sprossen (Mauerpfeffer-Arten) sind lebende Pflanzenteile und müssen entsprechend behandelt werden. Bei Erhalt sollten sie möglichst rasch gesät werden. Eine Zwischenlagerung während ein paar Tagen an einem kühlen und trockenen Ort ist möglich.
Je nach Witterung sind Sprossen in der Regel ab Mitte April bis Ende Juni sowie von Anfang August bis Mitte September verfügbar. Im Sommer während der Blüte wurzeln sie weniger intensiv und die Gefahr, dass sie vertrocknen, ist relativ groß. Im Herbst muss noch genügend Wärme vorhanden sein, damit sie anwurzeln. Sonst vertrocknen sie während dem Winter (gefriergetrocknet).
Wichtiger Hinweis: Nur Sprossen von einheimischen Wildformen verwenden, die unter kargen Bedingungen langsam angezogen wurden. Diese sind den extremen Witterungsverhältnissen auf dem Dach besonders gut angepasst und bieten die Gewähr für eine sichere Entwicklung.
Sedum-Sprossen eignen sich vor allem für Großflächen. Um eine breitere Artenvielfalt zu erreichen, ist aber eine Kombination von Sedum-Sprossen mit einer Samenmischung aus trockenheitstoleranten Kräutern empfehlenswert. Eine größere Artenvielfalt hat den Vorteil, dass die Dachbegrünung auch extremen Witterungsbedingungen wie große Hitze, Kälte und Trockenheit trotzt.
Tipps und häufigste Fehler bei der Extensiv-Begrünung
P=Planungsfehler, E=Erstellungsfehler
Erstellungsfehler lassen sich mit relativ geringem Aufwand beheben. Planungsfehler sind weit aufwendiger und entsprechend teurer zu korrigieren
Erstellungspflege
Die Erstellungspflege ist mindestens so wichtig wie die Saat, sie erstreckt sich über die erste Vegetationsperiode. Leider wird sie oft vernachlässigt und die Folge ist ein schlechter Begrünungserfolg. Dies kann vermieden werden, denn der Aufwand ist gering.
Wichtige Arbeiten sind das Wässern während der ersten sechs bis zwölf Wochen nach der Saat bei starker Trockenheit. Der Ausgleich bei starken Windverfrachtungen und die Nachsaat bei größeren Kahlstellen sowie das Entfernen von wurzelaggressiven Unkräutern (Disteln, Baumsämlinge) sichern die Etablierung.
Abb.: Mykorrhiza-Pilze fördern das Wurzelwachstum und sorgen so für kräftigere, blühfreudige Kräuterdächer. (Foto: B. Billing)
Saatgut mit Mykorrhiza-Pilzen ist vorteilhaft
Natürliche Mykorrhiza-Pilze bilden mit den Pflanzenwurzeln eine Lebensgemeinschaft (Symbiose). Die Wurzeln versorgen die Pilze mit Kohlenhydraten, während die Pilze mit ihrem fein verästelten Myzelgewebe den Wurzeln eine bedarfsgerechte Nährstoff- und Wasserversorgung gewährleisten. Die Dachsubstrate sind oft rein mineralisch und enthalten deswegen wenig bis keine Bodenpilze und Mikroorganismen. Umso wichtiger ist die Beigabe von natürlichen Mykorrhiza-Pilzen zum Saatgut. So wird dem sterilen Dachsubstrat Bodenleben „eingehaucht“. Dies erleichtert die Anfangsentwicklung einer Neuansaat entscheidend und fördert so die Widerstandskraft und damit die Artenvielfalt für langlebige, blühende Dachbegrünung.
Abb.: Mykorrhiza-Pilze vergrössern die Oberfläche der feinen Pflanzenwurzeln. Dadurch entsteht für die Pflanzen weniger Stress. Die Artenvielfalt und die Hitzetoleranz der Dachbegrünung steigt.