Rasenthema: Januar 2016
Autoren: © Dr. Michael Schlosser, Juliwa-Hesa, Heidelberg,
Dr. Klaus Müller-Beck, Ehrenmitglied Deutsche Rasengesellschaft e.V.
Wachstumsgradtage für Prognose und Pflege von Rasengräsern nutzen
Der Winter 2015/16 verläuft bisher außerordentlich mild, sodass die Vegetationsentwicklung bei vielen Pflanzen abweichend zum langjährigen Mittel verläuft. Auch bei den Rasengräsern sind deutliche Zeichen einer Vitalität durch die frische Grünfärbung zu beobachten. Die Einschätzungen der notwendigen Pflegemaßnahmen zum Frühjahrsstart sind deshalb weniger nach dem Kalender, als vielmehr nach dem tatsächlichen Entwicklungsstand des Rasens vorzunehmen.
Wachstumsgradtage „WGT“ und phänologische Daten
Der meteorologische Kalender bestimmt den Frühlingsanfang für den 1. März. Unabhängig davon deuten bestimmte Zeigerpflanzen mit ihrer Blüte auf die aktuelle Vegetationsentwicklung hin. So wird im phänologischen Kalender der Vorfrühling durch das Schneeglöckchen und die Haselnussblüte definiert. Mit der Blüte der Forsythie beginnt dann der Erstfrühling.
Da die pflanzliche Entwicklung von der zur Verfügung stehenden Feuchtigkeit, dem Lichteinfluss und insbesondere vom Temperaturverlauf gesteuert wird, hat sich mit den Wachstumsgradtagen eine heuristische Berechnung in der Phänologie etabliert (mutmaßende Schlussfolgerungen). Wenn keine extremen Bedingungen wie außersaisonale Dürre oder Krankheiten auftreten, wachsen Pflanzen in einer kumulativen Weise, die stark durch die Umgebungstemperatur beeinflusst wird. Wachstumsgradtage berücksichtigen Aspekte des lokalen Wetters und ermöglichen Landwirten und Gärtnern, dass Eintreffen der Blüte oder der Pflanzenreife vorherzusagen.
Abb. 1: Wetterstation am Standort liefert exakte Daten. (Foto: K.G. Müller-Beck)
Der Witterungsverlauf hat dabei einen sehr entscheidenden Einfluss auf das Rasenwachstum und ist durch den Platzwart/Greenkeeper/Gartenbauer nicht steuerbar.
Durch die Veränderung der vorherrschenden Wettersysteme hin zu immer häufiger auftretenden Extremwetterlagen (z.B. extreme Hitze gefolgt durch Gewitter mit starken Niederschlägen innerhalb kürzester Zeit) oder unbeständige Phasen mit durchschnittlichen Tagestemperaturen, aber kühlen Nächten wird die Situation noch verschärft.
Das genaue Ausmaß der Auswirkungen des Wetters auf das Wachstum von Gräsern ist schwierig einzuschätzen. Dabei können Modelle zur Quantifizierung des Wachstumspotenzials helfen (s. SCHLOSSER, 2015). Eines dieser Modelle bezieht sich auf die Berechnung der Wachstumsgradtage oder „Growing-Degree-Days“ (GDD).
Im Rasen wurden die „GDD“ erstmalig verwendet, um den Blühzeitpunkt der Grasart Poa annua (Jährige Rispe) abschätzen zu können (HUNT, 2013; SKORULSKI, 2013). Für den exakten Anwendungszeitraum von Wachstumsregulatoren (PGR) werden in den USA inzwischen bestimmte Werte für die GDD genutzt (THROSSEL, 2013).
Berechnung Wachstumsgradtage bzw. Growing Degree Days GDD
Mit dem GDD-Modell lässt sich das Wachstum der Gräser recht gut vorhersagen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass neben der Temperatur auch die übrigen Wachstumsfaktoren (wie z.B. Lichtniveau, Bodenfeuchte, Düngung, Bodenart, Grasart…) einen entsprechenden Einfluss auf die Gräserentwicklung ausüben.
Die Berechnung der Growing Degree Days (GDD) berücksichtigt die Tagesmitteltemperatur in Grad C aus der Maximum- und Minimum-Lufttemperatur. Außerdem bezieht man sich auf eine feste Basistemperatur, ab der die jeweilige Kultur mit dem Wachstum beginnt. Bei den Rasengräsern geht man hier von 6 °C aus. (Amerikanische Autoren nutzen als Basis 50 °F oder 10 °C).
Formel:
GDD = (Tempmax+Tempmin) – Basistemperatur (6 °C)
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Beispiel:
Lufttemperatur-Maximum: 15 °C
Lufttemperatur-Minimum: 9 °C
GDD = (15 °C + 9 °C) – 6 °C (Basis) = 6,0 °C (Growing Degree Days)
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Ergibt sich bei der Berechnung der GDD eine negative Zahl, so wird diese wie 0 °C (also kein/kaum Wachstum) behandelt. Für die Anwendung aller Modelle ist es selbstverständlich unerlässlich, dass täglich verwertbare Wetterdaten erfasst werden (eigene Wetterstation, s. Abb.1) oder für den jeweiligen Ort verfügbar sind (z.B. Internet).
Die ermittelten Daten für GDD spiegeln das aktuelle Wachstumspotenzial wider. Mit der Addition der Tageswerte lassen sich bestimmte Entwicklungsstadien vorhersagen. So berichtete HUNT (2013) in seinem Blog, dass an seinem Standort die Blüte von Poa annua var. annua bei 154 GDD eintrat (7. Mai), dagegen blühte Poa annua var. reptans bei 191,5 GDD (19.Mai).
Vergleicht man die GDD-Daten mehrerer Jahre für verschiedene Standorte, so stellt man fest, dass das Wachstumspotenzial für die Gräser je nach Jahr, Standort und topographischer Lage stark variiert. Es ist daher sehr nützlich, das Wachstum mittels GDD für seinen Standort zu quantifizieren.
Fazit
Die GDD-Daten können eine Entscheidungshilfe bezüglich Art und Zeitpunkt verschiedener Pflegemaßnahmen sein. Besonders nützlich sind die Daten jedoch auch bei der Kommunikation mit den Nutzern und Verantwortlichen der Golf- und Sportrasenflächen.
Bei der Erläuterung von Beeinträchtigungen in der Rasenqualität durch Witterungseinflüsse, lassen sich konkrete Zahlen für das Wachstumspotenzial heranziehen, sodass eine objektive Beurteilung möglich wird.
Quellen:
HUNT, M., 2013: Weatherblog.
SCHLOSSER, M., 2015: Kann man das Wachstumspotenzial von Rasengräsern quantifizieren? European Journal of Turfgrass Science, 46, S.37-40.
SKORULSKI, J., 2013: Getting a Handle on Nature’s Clock, Growing degree days the secret behind nature’s calendar.
THROSSEL, C., 2013: Trinexapac-ethyl applications and growing degree days.